Die Gegenwart ist wirtschaftlich in vielerlei Hinsicht schwierig – und ein Blick in die Ukraine zeigt, dass auch in Europa Menschen Angst um ihr Leben haben müssen. Gleichzeitig werden nach der wohl weitgehend überstandenen Corona-Pandemie wieder die Laufstege in eine Fantasiewelt integriert, die sich für die meisten Menschen fernab der Realität bewegt. Bei der Zielgruppe der so extrem kostspieligen wie extravaganten Ball- und Abendkleider handelt es sich um vermögende Menschen, die auf fünf- oder gar sechsstellige Preise für einzelne Kleidungsstücke nicht einmal mit der Wimper zucken. Machen derlei Inszenierungen heute überhaupt noch Sinn?
Warum ist Haute Couture so kostspielig?
Designer-Labels wie Prada überlassen selbst bei der Herstellung von Kleidung, die über Vertragshändler angeboten werden, nichts dem Zufall. Verwendet werden nur beste Materialien, um daraus beste Kleidung herzustellen. Da sich die Produktionsstätten oftmals in Europa befinden, ist jede einzelne Naht ein Beispiel für Perfektion. Wenn Saint Laurent und andere Labels Einzelstücke für die Haute Couture produzieren, wird die Perfektion sogar auf die Spitze getrieben. Es ist durchaus möglich, dass in einem einzelnen Kleid bis zu zweitausend Arbeitsstunden stecken. Angesichts dessen werden selbst die teuersten Materialien kostenmäßig zur Nebensächlichkeit. Zudem sind auch die Kosten für die Show geradezu astronomisch hoch.
Da ist es naheliegend, dass die Präsentationen aus dem Bereich der Haute Couture zugunsten der Ready-to-Wear-Schauen immer öfter zurückstehen müssen. Heute weist der Haute-Couture-Zirkel nur 15 französische Voll-Mitglieder auf (Darunter Designer wie Chanel, Maison Dior oder Givenchy), die von 7 korrespondierenden Mitgliedern (etwa Giorgio Armani oder Valentino) sowie 15 Gasmitgliedern ergänzt werden. Insgesamt handelt es sich also um einen zwar äußerst exklusiven, aber eben auch sehr überschaubaren Kreis.
Wozu braucht man eigentlich Haute Couture?
Ähnlich wie die als Einzelstücke gefertigten Supersportwagen viele Trends vorwegnehmen, die sich später in der Breite der Automobilindustrie wiederfinden, verhält es sich auch in der Mode. Die Haute Couture bestimmt die Marschrichtung der Mode und ist der kreative Boden für Designer. Hier können sie ohne finanzielle oder zeitliche Einschränkungen all ihre Handwerkskunst und Kreativität beweisen. Die dabei entstehenden Stücke sind zwar nicht massentauglich, finden aber trotzdem ihre Käufer. Schätzungen gehen davon aus, dass es weltweit etwa 4.000 Menschen gibt, die regelmäßig oder zumindest gelegentlich Haute Couture erwerben. Viele Kleidungsstücke aus diesem Segment kauft man freilich nicht zum regelmäßigen Tragen, sondern für wenige große Auftritte. Die sind in aller Regel mindestens ebenso groß wie der Preis der Kleidung. Käufer, die das ganze Jahr hindurch zahlreiche soziale Verpflichtungen sowie Party- und Veranstaltungseinladungen in ihrem Kalender vermerkt haben, gilt es ohnehin als Fauxpas, sich öfter als einmal im identischen Outfit blicken zu lassen. Zudem dürfen nicht zwei Personen das gleiche Kleid tragen. Dank Haute Couture kann man sichergehen, dass dies nicht der Fall ist.
Das Zentrum des Ökosystems der Mode
Laut Fédération de la Haute Couture et de la Mode (FHCM) kann man die Couture mit diesen Worten sehr treffsicher definieren Das Mode-Handwerk bewegt sich auf dem schmalen Grat zwischen der Tradition und der modernen Kreation und entwickelt dabei immer wieder innovative Fertigungstechniken. Man kann die Couture daher auch als ein Labor für Techniken und Ideen begreifen. Nicht jede hier ersonnenen Idee findet Einzug in die Boutiquen dieser Welt – und nur ein Teil wird irgendwann sogar in der Fast Fashion interpretiert.
Doch es ist faszinierend zu beobachten, wie sich Trends herausbilden. Ist das Kleid des Megastars skandalträchtig oder so innovativ wie sexy? Die Regenbogenpresse und die Klatschmagazine aus Fernsehen und Internet arbeiten sich als erstes daran ab, bevor das Thema in der Social Media diskutiert wird. Hier tummeln sich nicht nur Fashion Victims, sondern auch zahlreiche Scouts der mehr oder weniger bekannten Bekleidungshersteller. Bis die neuen Ideen schließlich in den Shops angekommen sind, ist es dann nur noch ein eher kleiner Schritt. Zu diesem Zeitpunkt schickt man in der Haute Couture längst wieder die nächsten Ideen auf die Reise…
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