Als Ort der Begegnung präsentierte sich die Arbeiterkammer Vöcklabruck vor kurzem Schülerinnen und Schülern der Berufsschule Vöcklabruck und des ORG. Einen Tag lang hatten mehr als 150 Jugendliche im Dialog der AK-Bezirksstelle die Möglichkeit, mit Menschen unterschiedlichster Herkunft und mit unterschiedlichsten Lebensgeschichten und Lebenskonzepten ins Gespräch zu kommen.
„Toll war´s”, waren sich am Ende des Tages alle einig. „Und dass man so etwas unbedingt wieder machen soll, da es in der direkten Begegnung mit Betroffenen, die beispielsweise wegen eines Krieges aus ihrem Land flüchten mussten, ein ganz anderes Erleben gibt, als wenn man im theoretischen Unterricht über Asylrecht lernt.”
Dr. Fatima Adam, eine dreißigjährige Ärztin aus dem Sudan, beispielsweise erzählte Walter Baumberger und Lukas Königbaur von der Berufsschule Vöcklabruck über ihre dramatische Flucht aus dem krisengeschüttelten Heimatland, wie sie über Lybien nach Europa gekommen ist und ihren Mann und ihre Eltern und die vielen Geschwister in der Heimat zurücklassen musste. Auf die Frage der Burschen, was sie sich denn wünsche, meint die junge Ärztin: „Asyl zu bekommen, arbeiten zu dürfen und meinen Mann wieder sehen”.
Seit neun Monaten läuft ihr Asylverfahren und seither gibt es das bange Warten auf den Einschreibebrief, wenn die tägliche Post kommt und immer wieder die Enttäuschung, wenn nichts dabei ist für sie. Trotzdem hat sie den Lebensmut nicht verloren und hat sich auch als „lebendes Buch” für die Veranstaltung im Dialog der AK-Vöcklabruck zur Verfügung gestellt, weil ihr wichtig ist, dass andere Menschen sehen, dass niemand freiwillig seine Heimat verlässt und es mit großen Opfern und Gefahren verbunden ist, in ein anderes Land zu gehen und eine neue Existenz aufzubauen.
Sie hat den Jugendlichen aber auch sehr deutlich gezeigt, dass es sehr oft aber keine Alternative gibt, wenn man politisch verfolgt wird und man nur die Wahl zwischen Verfolgung und möglicherweise Tod oder Flucht hat. „Lebende Bücher” sind Menschen, die aufgrund ihrer Herkunft, Religion, Hautfarbe oder auch wegen ihres Berufs oder Lebensstils immer wieder mit Stereotypen und Vorurteilen konfrontiert sind. Gemeinsam mit dem Verein living books ermöglichte die Arbeiterkammer Vöcklabruck Jugendlichen persönliche Begegnungen, die im normalen Lebensalltag oft nicht stattfinden. Begegnungen mit Menschen verschiedener Herkunft und Geschichte, mit unterschiedlichen Berufen und Lebensanschauungen.
„Ziel der Veranstaltung, die wir in Kooperation mit dem Verein „Living Books” durchgeführt haben, ist es, Jugendlichen in lockerer Atmosphäre die Möglichkeit zu eröffnen, das für Sie „Fremde und Andere” kennenzulernen, Fragen zu stellen und sich mit Menschen, die es wissen müssen, auszutauschen”, erklärt Dr. Martina Obermaier. „Unsere gesellschaftliche Vielfalt ist Faktum und bestimmt unseren Alltag, ob wir das wollen oder nicht”, weiß Obermaier.
Für gutes Zusammenleben braucht es deshalb ihrer Meinung nach immer wieder die direkte Begegnung, weil dadurch gegenseitige Vorurteile und auch Ängste abgebaut werden und mehr Verständnis füreinander geschaffen werden kann. Living Books ist ein konkreter Beitrag dazu.
In Gesprächen mit dem Postenkommandanten und Abteilungsinspektor der Erstaufnahmestelle Thalham, einem afrikanischen Priester, der heute im Hausruck lebt, einem ehemaligen Alkoholiker, der den Weg zurück ins Leben geschafft hat und heute Suchtberater und Psychotherapeut ist, konnten die Jugendlichen verschiedenste Aspekte des Zusammenlebens in unserer Gesellschaft direkt aus der Praxis kennen lernen.
Beeindruckend waren auch die Lebensgeschichten einer zum Islam konvertierten und kopftuchtragenden ungarischen Juristin, von Sr. Emanuela, einer technikverliebten Ordensfrau, die ist seit mehr als 50 Jahren im Mutterhaus der Franziskanerinnen in Vöcklabruck lebt und für den Veranstaltungsbereich zuständig ist, der Spastikerin Barbara, die seit ihrer frühesten Kindheit im Rollstuhl sitzt aber ihre Lebensfreude und ihren Glauben nicht verloren hat und von Lulzim, dem Kosovo-Albaner, der als 18-jähriger ohne Ausbildung und Deutschkenntnisse nach Österreicher kam und jetzt Cateringchef mehrerer 4‑Strerne-Hotels und Gastrotrainer beim BFI ist.
Die 30-jährige Mirna erzählte von ihrer Flucht aus Sarajewo während des Bosnienkrieges und wie sie in Österreich eine neue Heimat und einen guten Job als Projektmanagerin gefunden hat und von ihren ersten Eindrücken im Flüchtlingslager am Attersee. Der Austro-Türke Sükrü erinnerte sich an seine Kindheit in Istanbul und wie er mit neun Jahren ohne ein Wort deutsch zu sprechen von seinen Eltern, die als Gastarbeiter in Österreich lebten, nach Frankenmarkt geholt wurde.
Und er erzählte auch, warum er sich heute als Betriebsrat in einem großen Industriekonzern engagiert. Efgani Dönmez beeindruckte seine Zuhörerinnen und Zuhörer mit seiner Lebensgeschichte und seinem beruflichen Werdegang, der in letztendlich nach Lehre und Studium in die Politik führte, wo er als erster Bundesrat mit migrantischen Wurzel österreichische Geschichte schrieb.
Und die pensionierte Unternehmerin Linde Derflinger berichtete mit bewegenden Worten über ihre erste Initiative in Nicaragua nach einem verheerenden Wirbelsturm 1998, über die Armut in dem lateinamerikanischen Land, das sie seither oftmals besucht hat, ihre Entwicklungshilfeprojekte und ihre Motivation, warum sie sich für die Menschen in diesen Ländern einsetzt und warum ihr gerade Bildung – auch für blinde Menschen – wichtig ist.