Die Galerie der Gmundner Lebenshilfe, Tacheles genannt, ist mit Jahresende Geschichte. Der feine, kleine Schau- und Arbeitsraum am Rinnholzplatz – zuletzt je zur Hälfte von der Lebenshilfe und vom Kunstforum Salzkammergut getragen und bespielt – wird 2024 nur noch vom Kunstforum geführt werden. Die Lebenshilfe wird sich mit drei Ausstellungen einmieten. Die erste zeigt Outsider-Kunst aus Estland.
Keine große Veränderung, könnte man meinen.
Ich will Tacheles reden. Dass die KünstlerInnen der Lebenshilfe nicht mehr regelmäßig am Rinnholzplatz präsent sind, ist ein Riesen-Verlust. Sie sind damit von der Inklusion, von der viel strapazieren „Normalität“ ausgeschlossen.
Bleiben wir beim Begriff. In programmatischen Schriften und Sonntagsreden hat „Inklusion“ die lange gebräuchliche „Integration“ abgelöst. Das ist großartig, zumindest in der Theorie. Während Integration darauf abzielt, dass Andersartige so weit wie möglich Sprache, Sitten, Werte und Aussehen der (neuen) Umgebung übernehmen und dort später gar nicht mehr auffallen, wie es so oft heißt, geschieht bei der Inklusion etwas substanziell anderes. In die Umgebung „Eingeschlossene“ werden in ihrer Andersartigkeit voll respektiert, sie können/dürfen sie beibehalten und leben. So zu sein, also etwa Autismus oder Trisomie zu haben, gehört zur Bandbreite des normalen sozialen Lebens. Damit hat sich, und das halte ich für eine große Errungenschaft, nicht der Andersartige angepasst und geändert, sondern das System – hin zu mehr Toleranz und Mitmenschlichkeit.
Am Rinnholzplatz und in der Innenstadt war es normal, dass die Künstlerinnen der Lebenshilfe-Kunstwerkstatt in der Auslage malten, einen in der Galerie über die Schulter schauen ließen, Auskunft gaben, mit einem plauderten, im Café-Gastgarten beim Salzträgerbrunnen am Nebentisch saßen, etwas einkaufen gingen, und damit zeigten, dass sie hier als Kunstschaffende arbeiteten und dazugehörten.
Dass diese Zeiten vorbei sind, ist auch ein Rückschlag für die Art Brut und unser Verständnis für die Außenseiter-Kunst, für außerkulturelle Kunst, wie es deren berühmter Mentor Jean Dubuffet nannte.
Ich möchte die Lebenshilfe ermuntern. Sie hat große Verdienste bei der Förderung begabter Art Brut-KünstlerInnen erworben. Sie tut es auch weiterhin, mit künstlerischer Betreuung, aber bloß in der Malwerkstatt.
Nahe am Level der weltbekannten Gugginger Künstler hat Ferdinand Reisenbichler, der pensionierte Leiter der Kunstwerkstatt, viele Jahre gezeigt, wie Inklusion gelingen kann: in der Atelier-Galerie Tacheles, in Kooperationsprojekten mit nicht behinderten zeitgenössischen KünstlerInnen („Sequenzen“), bei 70 Ausstellungen oder beim Zeichenfestival Big Draw, an dem er sogar die Laufkundschaft beteiligte.
Mir ist klar, dass kaum jemand in Reisenbichlers Fußstapfen treten kann. Aber es gäbe genug andere Inklusionsideen und ‑möglichkeiten für die KünstlerInnen. Ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass die Lebenshilfe doch wieder so etwas probiert.
Josef Aigner
4813 Altmünster