Ein Geniestreich skulpturalen Klangvolumens ist dem Bildhauer Josef Baier (*1951 Salzburg) aus Leonding gelungen.
Er stellt von 22. Aug. bis 05. Sept. 2021 in der Hipp-Halle in Gmunden sein ganzheitliches Meisterwerk zur Schau, welches mit allen Sinnen erfahren werden kann.
Lambdoma nennt sich die Ausstellung und handelt von einer Klanginstallation, welche die Bereiche Skulptur und Musik miteinander verbindet. Das hier ausgestellte Vierfach-Lambdoma (8 x 8 Rohre in einem Quadrat gehängt — das sind je 64 Rohre, mal 4 macht gesamt 256 Klangrohre) — ist auf die Naturtonreihe und die ganzzahligen Proportionsverhältnisse aufgebaut. Durch das Anschlagen der einzelnen Klangrohre werden Obertöne und Untertöne hörbar, die Körper und Geist anregen. Es entstehen ganz besondere Klangerlebnisse, die lange nachvibrieren.
Es ist nach eingehender Recherche das erste Lambdoma in Europa, welches für den Besucher, die Besucherin, durch Betreten der Installation und eigenes Ausprobieren auch erfahrbar gemacht wird. Dabei können die Klangrohre durch verschieden starke Schlägel zum Schwingen und Klingen gebracht werden. Wer in das Lambdoma eintritt, erfährt so ein unbeschreiblich intensives Klangvolumen, das vom Scheitel bis zu den Zehen wahrnehmbar ist.
Die 256 Klangrohre aus Aluminium wiegen insgesamt 800 Kilogramm und wurden im Hängequadrat an einer eigens angefertigten Eisenkonstruktion angebracht. Josef Baier hat seit Ideenfindung, bei der ihn Michael Enzenhofer (www.michael-enzenhofer.at), ein Freund und Lehrer begleitet hat, bis zur Fertigstellung ein Jahr daran gearbeitet.
Jedes Rohr ist perfekt gestimmt. Von einem Ausgangston wird die genaue Länge ermittelt, welche den gewollten Ton erzeugt. Das Rohr wird auf jene Länge gekürzt, mit der Feile nachbearbeitet und so fein-gestimmt. Neben der Rohrlänge sind auch der Durchmesser und die Wandstärke für die Tonhöhe ausschlaggebend.
Josef Baier erklärt: “Die Länge zum Quadrat mal der Frequenz in Hertz ist konstant. So lassen sich Länge und die daraus resultierende Frequenz einfach ermitteln. Ausserdem dürfen die Klangrohre in der Installation nur auf dem Schwingungsknotenpunkt hängen, da ansonsten der Ton gedämpft werden würde. Dieser Punkt liegt genau auf 22,4 % der Länge des Rohres.” Der tiefste Ton liegt bei 32,4 Hertz und der höchste bei 3110 Hertz.
Josef Baier hat großes Interesse für diese Art von Umsetzungen unumstößlicher physikalischer oder naturwissenschaftlicher Gesetzmäßigkeiten, und ihm liegt daran diese Konstanten möglichst einfach in einer Skulptur erlebbar und erfahrbar zu machen. Daher erarbeitet er seit seiner Studienzeit und während seiner gesamten Lehrtätigkeit an der Kunstuniversität Linz stetig höchst komplexe Arbeiten, die durch ihre Wegnahme von Unwesentlichem, die letzte Essenz vermitteln.
Die Arbeiten im öffentlichen Raum, seine bekannten Spiralen und Windungen (zB. archimedische und hyperbolische Spiralen), die schwimmenden Objekte, die Klangmaschinen und Klangskulpturen (wie die Bogenharfe, das Klangboot und Gezählte Tage), die Papierarbeiten, die Verflechtungen und Verknüpfungen (HundertGlas, Triangulage) sowie seine Steinarbeiten und nicht zuletzt die Arbeit Hörkurven (Video: https://www.youtube.com/watch?v=0IDulSSuGHQ) haben im In- und Ausland großen “Anklang” gefunden und die BesucherInnen begeistert.
Seine internationalen Symposien, Projekte, Ausstellungen und Preise zeugen von seinem hinterfragenden Blick, der alles verstehen möchte und weiter forscht bis er eine gewisse Zufriedenheit durch die entstandenen Werke erfährt.
Josef Baier hat sich zum bildhauerischen Ziel gesetzt, wesentliche Gesetze der Natur, durch Reduktion des Materials und mit subtiler Ästhetik erfahrbar zu machen.
In der Hipp-Halle zeigt der Bildhauer nach zwanzig Jahren (Ausstellung 2001) die Quintessenz seines künstlerischen Schaffens. Einzig das Lambdoma wird diesmal ausgestellt, denn es spricht und klingt für sich. Es braucht den ganzen Raum um ganzheitlich erlebbar zu sein.
Ein Hinweis für die Gäste: Nehmen Sie sich Zeit. Treten Sie ein, haben Sie Mut die Klangrohre sensibel anzuschlagen und erleben Sie die Kraft der Schwingung. Nähern Sie sich vorsichtig mit dem Ohr und schließen Sie die Augen. So entsteht ein Kosmos im Inneren. Eine Ahnung der unendlichen Weiten unseres Universums kann durch die sphärischen Klänge aus den tiefen des Unbewussten herauf treten. Es kommt darauf an, wer anschlägt oder spielt. Spielen Sie möglichst selbst für sich, denn es ist möglich, dass Sie genau die Töne treffen, mit denen Sie in Resonanz gehen. Bleiben Sie wachsam und erfahren Sie Stimmungs- und Klangwelten in einem Hallenraum der besonderen Art.
Folgende Programmpunkte finden während der Ausstellungszeit statt:
Zur Eröffnung am 22. August um 11 Uhr spricht Ines Auerbach M.A.,Leitung Haus der Fotografie und Studienkirche St. Josef, Burghausen (D) mit Konzert im Anschluss „Hypnotonus Dronus“ mit Simon Enzenhofer und Markus Kapelle (Lambdoma & Synthesizer)
Am 1. Sept. zur “Langen Nacht der Industriekultur” findet um 21 Uhr ein Konzert mit den Salzburger Musikern Uli Barth (Saxophon, Reeds) und Gerhard Endstrasser (Lambdoma, Drums, Programming) statt.
Zur Finissage am 05. Sept. um 11 Uhr spielen die Salzburger Gerhard Laber — permissiver Klangfermormer und Fritz Moßhammer mit Alphorn und Hirtenflöte.
Der Künstler wird während der angegebenen Öffnungszeiten persönlich anwesend sein.
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Gottfried Wilhelm Leibniz äußert in seinem Brief vom 27. April 1712 an Christian Goldbach den berühmten Gedanken „Musica est exercitium arithmeticae occultum nescientis se numerare animi.“ – „Musik ist die verborgene Mathematik der unbewusst rechnenden Seele.“
Das Lambdoma als Darstellung aller rationalen Zahlen ist daher von großer Bedeutung für die Harmonik.
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Zur Erklärung über Lambdoma:
Wenn wir Töne hören, so macht der einzelne Ton alleine noch keinen nennenswerten Eindruck auf unser Gemüt. Die Empfindung entsteht, wenn zwei Töne aufeinanderfolgen, oder gleichzeitig erklingen und beide stehen in einem rationalen Verhältnis mit kleinen Zahlen. Man spricht von einem Intervall, wenn etwa das mittlere C mit einer Frequenz von 264 Hz, gefolgt vom C‘ der nächsten Oktave mit 528 Hz erklingt. Die Tonfolge besitzt das Frequenzverhältnis 1:2 oder 1/2 (gesprochen eins zu zwo). Oder, wenn etwa die Tonfolge C – G erklingt, so steht auch diese Tonfolge in einem einfachen Frequenzverhältnis 264 Hz : 396 Hz = 2:3 = 2/3. Alle diese Tonfolgen bilden Frequenzverhältnisse und können in geordneter Form dargestellt werden, siehe Abbildung links.
Das Zahlenschema nennt man in der Harmonik Lambdoma, weil es die Form des griechischen Buchstaben Lambda besitzt. Das Netz von Geraden, die sich von oben nach unten erstrecken, nennt man Gleichtonlinien. Sie laufen durch Brüche gleicher Werte, wie etwa 1/2 = 2/4 = 4/8 …
Die Zahlen 1/2, 2/3, … nennt man rationale Zahlen. Sie sind im Lambdoma in Bruchschreibweise dargestellt. Vergrößert man das Lambdoma nach unten, so können damit alle rationalen Zahlen dargestellt werden.
Die „Zeugertonlinie“ läuft durch die Brüche 1/1, 2/2, 3/3, …, steht für den Grundton eines Intervalls und teilt das Lambdoma in der Mitte. Auf der einen Seite stehen dann alle Intervalle größer als 1, auf der anderen kleiner als 1. So etwa steht die Dominante mit der Frequenz 3/2 auf einer, die Subdominante mit der Frequenz 2/3 auf der anderen Seite.
Foto: Josef Baier